Grundelemente von Gebärden | |
Wenn Sprachwissenschaftler entscheiden wollen, ob ein System zur Kommunikation eine richtige Sprache ist, prüfen sie es unter anderem auf einen hierarchischen Aufbau. Setzen sich also die einzelnen Strukturen wie Sätze und Wörter aus kleinen Einheiten zusammen, die immer wieder neu kombiniert werden können?
Die Gebärdensprache hat diesen - wie auch alle anderen - Test bestanden. Was man erzählen möchte, das wird in Sätze gekleidet, die aus einer Abfolge von Gebärden bestehen. Und für die Gebärden gibt es bestimmte Regeln, welche Handformen erlaubt sind, welche Handstellungen, Bewegungen und Ausführungsorte. Schauen wir uns das mal an einigen Beispielen an.
Als Handform wählen wir die flache Hand mit ausgestreckten, zusammenliegenden Fingern. Mit ihr kann man zeigen, wie breit etwas ist, "Danke", "Vater" oder "Mutter" gebärden. Die Form ist stets die gleiche, nur die Handstellung und die Bewegungen ändern sich. In der Deutschen Gebärdensprache sind nur bestimmte Handformen erlaubt. So dürfen beispielsweise Daumen und Zeigefinger sich zu einem Ring schließen, während die anderen Finger gestreckt sind - wie beim Buchstaben "F" im Fingeralphabet. Eine Handform mit einem Ring aus Daumen und Mittelfinger gibt es dagegen in der DGS nicht. In den Gebärdensprachen anderer Länder kann sie jedoch erlaubt sein. Es ist ähnlich wie bei gesprochenen Sprachen, in denen manche Laute auf einzelne Sprachen beschränkt sind (z.B. das kurze "i", das in slawischen Sprachen vorkommt und für das es im Deutschen kein Gegenstück gibt) oder in manchen Gruppen fehlen (z.B. das "r" in einigen asiatischen Sprachen oder "sch" und "ch" im Dänischen).
Zurück zu den Gebärden. Ob Sie in einem Satz von "Pfennigen" oder "Cent" berichten oder "traurig" sind, hängt davon ab, wie die Handstellung ist. Beide Male ziehen Sie den gestreckten Zeigefinger neben der Nase nach unten, bloß zeigt der Handrücken in einem Fall zu Ihnen hin, im anderen von Ihnen weg.
Welche Bewegung Sie ausführen, kann auch entscheidend für die Bedeutung einer Gebärde sein. Das wird bei einer Form der Verneinung besonders deutlich. Möchten Sie eine Aussage mit "stimmt" bestätigen, strecken Sie den Zeige- und Mittelfinger aus und führen eine Kippbewegung im Handgelenk durch. Gleichzeitig nicken Sie mit dem Kopf. Das gegenteilige "stimmt nicht" entsteht, indem Sie mit den Fingern eine kleine Schleife in der Luft ziehen und den Kopf seitwärts schütteln.
Der letzte Grundbaustein für eine Gebärde ist der Ausführungsort. So unterscheiden sich "Sohn" und "Dorf" vor allem dadurch, wo sie gebärdet werden: Den "Sohn" führt man relativ dicht vor dem Körper aus, das "Dorf" weiter entfernt vom Rumpf.
Jetzt kommen wir zum Satzbau. Der auffälligste Unterschied für Hörende ist sicherlich die Stellung des Verbs: In der Gebärdensprache steht es am Ende. Der deutsche Satz "Ich kaufe ein Buch" wird gebärdet als "Ich Buch kaufe". Das ist gewöhnungsbedürftig, aber wenn Sie wirklich gebärden lernen möchten, sollten Sie darauf achten. Nach einer Weile läuft es dann automatisch.
Dieser unterschiedliche Satzbau ist wesentlich dafür verantwortlich, dass es so gut wie unmöglich ist, gleichzeitig in DGS zu gebärden und in Deutsch zu sprechen. Die Grammatik einer der beiden Sprachen bleibt dann zwangsläufig auf der Strecke.
Falls der Satz eine Frage mit einem Fragewort ist, kommt dieses oft noch nach dem Verb. Mit den bis jetzt gelernten Gebärden können Sie zum Beispiel fragen: "Du kaufst was?"
Auch die Reihenfolge am Satzanfang richtet sich nach Regeln. Ganz vorne stehen Zeitangaben wie "morgen" und "gestern" oder allgemeinere Angaben wie "später/Zukunft" und "früher/Vergangenheit". Der Umgang mit Zeiten ist in der DGS leichter als im Deutschen. Es gibt nur die drei Zeitformen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Spielt eine Erzählung nicht jetzt, gibt der Gebärdende zu Beginn die Zeit an, und die gilt dann, bis er etwas anderes ankündigt. Ansonsten ändert sich nichts, Schwierigkeiten wie "kommen, kam, gekommen" oder "go, went, gone" oder bleiben uns zum Glück erspart.
Gibt es im Satz eine Ortsangabe, folgt sie der Zeitangabe (wenn es eine gibt) und steht vor dem Subjekt. Manchmal wird mit "dort" noch einmal auf den Ort verwiesen.
Nach so viel Theorie gönnen wir Ihnen im folgenden Kapitel mal ein bisschen Praxis mit kleinen Dialogen.
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